Harzer Volksstimme vom 16.04.2020
Harzer Berge statt Tollensesee
Kanusport Annette Wehrmann hält sich nach Abbruch des Trainingslagers in der Heimatregion fit
Nach zwei erfolgreichen Jahren in der Juniorenklasse mit Einsätzen bei den Junioren-Weltmeisterschaften in Bulgarien 2018 und in Rumänien 2019 startet die Ilsenburgerin Annette Wehrmann jetzt in der Leistungsklasse. Die Saison läuft dabei alles andere als geplant.
Ilsenburg (iwe/ige) Seit Mitte Oktober 2019 hat das neue Trainings- und Wettkampfjahr für die Ilsenburgerin Annette Wehrmann begonnen. Auf einen warmen und trockenen Sommer folgte ein warmer und fast genauso trockener Winter. Lange war der Wasserstand des heimatlichen Oberbaches für die Kanuten der SC Neubrandenburger gerade ausreichend, dass noch ein Training möglich war. Beim Winterpaddeltraining wird selten, nur bei absoluter Windstille, auf den Tollensesee hinausgefahren. Erst die ersehnten Regenfälle im Januar und Februar 2020 brachten Entspannung beim Wasserstand.
Wenn das Thermometer über Null Grad zeigte, wurden die Paddel gegriffen und die Boote ins Wasser gesetzt. Oft konnte man dann die jungen Damen der Trainingsgruppe von der Bundesstützpunktleiterin Lisa Schiffer beim Paddeln sehen. Da die Ilsenburgerin Annette Wehrmann mit Ihren 18,5 Jahren die älteste und einzige Leistungsklassefahrerin beim SC Neubrandenburg ist, musste Sie viele Kilometer auf dem Wasser allein absolvieren – und das bei jedem Wetter. So kamen für die Vize-Juniorenweltmeisterin von 2018 in den Monaten Oktober bis Februar weit über 700 km zusammen.
Neben dem Paddeln standen auch Trainingseinheiten wie Kraft mit Gewichten, Körperkraft, Schwimmen und viele Laufeinheiten auf dem Plan. Im Park zwischen dem Oberbach und dem Tollensesee spürte man spätestens, dass Neubrandenburg eine Sportstadt ist und dies dort mit großer Begeisterung gelebt wird. Leistungssportler trainieren neben Freizeitsport.
„Für mich war es eine erste Standortbestimmung nach achtmonatigem Training ohne gleichaltrige Konkurrenz“
Anfang März 2020 ging es für Annette Wehrmann mit einem Teil der Junioren und U23-Canadierfahrer in der Nationalmannschaft mit Bundestrainer Tino Hoffmann nach Le Temple-sur-Lot (Frankreich) zum Trainingslehrgang. Abgeschirmt in einem Tal auf dem Fluss Lot konnte Wehrmann gemeinsam mit den anderen Canadierfahrerinnen nochmals weitere Kilometer im Canadier-Einer und -Zweier absolvieren. „Für mich war es eine erste Standortbestimmung nach achtmonatigem Training ohne gleichaltrige Konkurrenz. Ebenso war es für mich wichtig, unter Konkurrenzbelastung neue Erkenntnisse und positive Impulse für die weitere Vorbereitung für die nationalen Qualifikationen mitzunehmen“, berichtete Annette Wehrmann.
Eigentlich wollte die Harzerin im ersten Wettkampfjahr in der Leistungsklasse wichtige Erfahrungen sammeln und sich mit soliden Leistungen für internationale Großereignisse empfehlen, ehe vom Deutschen Kanu Verband die Information im französischen Tal ankam, dass alle Sportler wegen der Ausbreitung des Coronavirus sofort die Heimreise nach Deutschland anzutreten haben.
„Von einem Augenblick zum anderen Augenblick wurde alles Realität. Man hat vieles über das Internet erfahren, doch wir fühlten uns sicher. Wir waren voll auf das Training fixiert. Für Anfang und Mitte April standen die nationalen Qualifikationsrennen an. Die Besten Canadier-Fahrerinnen der Gesamtwertung aller Qualifikationsrennen fahren zu Olympia, andere zum Weltcup, zur U-23 Welt- oder U23 Europameisterschaft“, erzählt Annette Wehrmann, die sich große Chancen ausgerechnet hatte, ganz oben mitzumischen und dafür nichts unversucht lassen wollte.
„Alle wollten nur noch so schnell wie möglich nach Hause, ob Deutsche oder Engländer.“
„Seit Oktober 2019 was jeder Tag darauf ausgerichtet gewesen und jetzt auf einmal begann alles zu wackeln. Auf einmal wurde ein ganz anderes Thema aktuell und der Sport schob sich in den Hintergrund. Auf der Fahrt zum Flughafen Toulouse (Frankreich) sahen wir zum ersten Mal menschenleere Straßen und am Flughafen die Armee mit Waffen patrouillieren. Am Flughafen selber war eine merkwürdige Stimmung, alle wollten nur noch so schnell wie möglich nach Hause, ob Deutsche oder Engländer“, erzählte Wehrmann weiter.
Vom Flughafen Tegel ging es nicht nach Neubrandenburg, sondern sofort nach Hause, in die Harzer Berge nach Ilsenburg. Das war am 13.März. Der menschliche Körper ist keine Maschine, die man einfach abstellen kann. Und so kam es für Annette Wehrmann nie in Frage, zu Hause nichts zu tun. Noch am ersten Tag begann sie, mit Krafteinheiten ihren Körper in Schwung zu halten. Mittlerweile sind viele Lauf- oder Fahrradkilometer in den Harzer Bergen dazu gekommen. Der Tag musste, wie bei vielen anderen neu organisiert werden. Lernen für das Abitur und immer wieder allein trainieren. So bleibt nur ein großer Wunsch von Annette Wehrmann, „dass das Coronavirus schnell besiegt wird und alle gesund bleiben.“